Interview

Wie lange leben Sie schon in Sachsen-Anhalt?

Mein ganzes Leben lang, also 31 Jahre.


Auf welche Ausbildung und welche beruflichen Erfahrungen blicken Sie zurück?

Ich habe in Halle an der Martin-Luther-Universität in einem Magisterstudiengang Germanistische Literaturwissenschaft, Zeitgeschichte und Wirtschafts- und Sozialgeschichte studiert und in dieser Zeit verschiedene Studentenjobs gemacht. Durch die Umstellung auf das Bachelor- und Mastersystem und meine Wahl in den Landtag 2011 konnte ich das in dieser Form leider nicht zu Ende führen. Deshalb habe ich entschieden in ein reines Fernstudium einzusteigen und befinde mich derzeit in einem Ausbildungsgang zur Journalistin an der Freien Journalistenschule Berlin.


Wie sind Sie zur Politik gekommen?

1998 war ich 14 Jahre alt und erlebte zwei einschneidende Momente der Politisierung: Zum einen der Kosovokrieg. Ich war schockiert und fühlte mich ohnmächtig. Das führte mich zu den Antikriegsdemonstrationen, die es auch in meiner Heimatstadt Halle gab. Zum Anderen zog 1998 die rechtsextreme DVU mit einem Rekordergebnis in den Landtag von Sachsen-Anhalt ein, gab es eine erneute Zunahme rechter Gewalt, gingen Nazis selbstbewusst und aggressiv auf die Straßen. Das machte mir Angst und das wollte ich nicht einfach so hinnehmen, fing an mich über die Szene zu informieren und beteiligte mich an Protesten gegen Naziaufmärsche. Dort lernte ich Menschen kennen, entdeckte die politische Szene und kam zur AG Junge Genossinnen, dem Jugendverband der PDS, und begann schnell, mich dort zu engagieren. Über lange Zeit habe ich nur ehrenamtlich und außerparlamentarisch gearbeitet, bis ich mich 2010 entschied, für den Landtag zu kandidieren.


Was treibt Sie an?

Der Glaube an Menschlichkeit und der Wille sie zum Ausgangspunkt von Politik zu machen.


Was haben Sie sich im Falle einer Wahl zum Mitglied des Landtages vorgenommen?

Ich möchte Migrations- und Integrationspolitik machen. Hier gibt es gerade in der jetzigen Zeit viele Aufgaben, viele neue Herausforderungen und auch Probleme zu lösen. Aber: Die Probleme, die jetzt in Sachsen-Anhalt zu lösen sind, sind zu großen Teilen hausgemacht und haben weniger mit der Leistungsfähigkeit des Landes, als mit der Leistungsbereitschaft der Landesregierung zu tun. Um die Ankommenden gut, sicher und menschenwürdig unterzubringen braucht Sachsen-Anhalt ein Aufnahme-und Integrationskonzept von Land und Kommunen. Es braucht den Mut und den politischen Willen, Asylsuchende nicht nur willkommen zu heißen, sondern auch in die Lage zu versetzen, ihr Leben hier selbst zu gestalten, zu arbeiten und sich eine Perspektive zu schaffen. Nach Jahrzehnten der Abwanderung erlebt Sachsen-Anhalt nun verstärkte Zuwanderung - wir sollten Ankommenden viele Gründe geben hier zu bleiben, und dieses Land mit zu gestalten. Das macht deutlich: Wo es viel zu tun gibt, gibt es viel zu gestalten. Das reizt mich ganz besonders an meinem Politikfeld. Moderne und an Menschenrechten orientierte Migrationspolitik heißt für mich, die Lebensbedingungen von Asylsuchenden substantiell zu verbessern, und die Grundlage für Teilhabe zu schaffen. Nicht Ausschluss und Sonderregeln, sondern Inklusion und Gleichberechtigung sind gefragt.


Welche Rolle spielt Sachsen-Anhalt in Deutschland und in Europa und welche Perspektiven sehen Sie für das Land?

Erstmals seit vielen Jahren kommen mehr Menschen ins Land als gehen. Diese Chance wollen wir nutzen und gestalten.

Wir meinen: Alle Menschen sollen hier gut leben können. Sachsen-Anhalt muss attraktiver werden. Arbeit und Entlohnung, die Zugewanderten wie hier Geborenen ein selbstbestimmtes Leben ermöglichen, sind dazu unabdinglich. Die bisherige Billiglohnpolitik der CDU hat die Menschen nicht im Land gehalten. DIE LINKE vertritt eine andere Arbeitsmarkt- und Wirtschaftsorientierung. Die Förderung neuer Wirtschaftsansiedlungen wollen wir an nachhaltigen Kriterien ausrichten. Dazu gehören gute Bezahlung, die Mitbestimmung im Betrieb und umweltbezogene Standards. Wir wollen Fachkräfte ausbilden und nach Sachsen-Anhalt holen, indem wir gute Bedingungen auch für ihre Familien und Kinder bieten. 

Politik darf das Land nicht länger verwalten, sondern muss die Potentiale des Landes und der Menschen die in ihm Leben fördern und nutzen. Dann wird das Land attraktiver und schafft folgerichtig Gründe für Menschen, hier zu bleiben und ihre Kraft und ihre Ideen hier einzubringen.

Die EU hat in der Vergangenheit unverzichtbare Förderung in Sachsen-Anhalt betrieben. Die aktuelle Flüchtlingssituation zeigt auch, wie notwendig eine soziale und politische Europäische Union wäre und wie wenig nationale politische Konzepte es vermögen, globale Probleme zu lösen. Sachsen-Anhalt sollte sich deshalb immer ganz bewusst als Teil Europas begreifen.


Wie wollen Sie die Zukunft Sachsen-Anhalts mitgestalten?

Ich möchte die Zukunft Sachsen-Anhalts mitgestalten, indem ich mit meinen politischen Ideen einen Beitrag dazu leiste, dass Sachsen-Anhalt offener, vielfältiger und solidarischer wird. Das braucht Leidenschaft, Haltung und einen langen Atem – das habe ich.


Wie denken Sie über die in Sachsen-Anhalt in den letzten Monaten aufgenommenen Flüchtlinge? Welche Chancen und Probleme sehen Sie und wie möchten Sie darauf reagieren?

Das Menschen ihr Zuhause verlassen müssen und sich auf so gefährliche Fluchtwege wie den über das Mittelmeer begeben, zeigt wie groß die Verzweiflung dieser Menschen sein muss. Geflüchtete brauchen Hilfe, sie brauchen Schutz und Obdach, sie brauchen Hilfe erlebtes zu verarbeiten und sie brauchen die Chance, ihr Leben hier selbst gestalten zu können und sich eine Perspektive zu schaffen. Dazu sind vielfältige politische Schritte notwendig: Statt in abgelegenen Gemeinschaftsunterkünften sollten sie dezentral in Wohnungen leben können, statt monatelang auf die Behandlung ihrer Anträge zu warten, sollten sie so schnell wie möglich Zugang zu Sprachkursen und zum Arbeitsmarkt haben. Es ärgert mich, wenn ich sehe, wie durch verschlafene Planung der Landesregierung und mangelnde Kommunikation jetzt Überforderungsanzeigen aus den Kommunen geradezu provoziert werden. Da sollen die Bilder geliefert werden, die die Haltung „Wir schaffen das nicht“ bestätigen. Das halte ich für politisch falsch und verantwortungslos. Es ist Öl in das Feuer derjenigen, die Asylunterkünfte niederbrennen wollen. Die rassistischen Mobilisierungen und die rasante Zunahme rechter Gewalt machen mir große Sorgen. Sachsen-Anhalt braucht eine Landesregierung die handelt statt zu lamentieren, die gemeinsam mit den Kommunen ein Aufnahme- und Teilhabekonzept entwickelt und den Kommunen die tatsächlich anfallenden Kosten für die Aufnahme von Asylsuchenden erstattet. Und es braucht eine Landesregierung, die sich konsequent gegen Rassismus und jede Form gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit positioniert und diejenigen, die dies ehramtlich, zivilgesellschaftlich und als Beratungsprojekte tun, stärkt. Gegen Rassismus und Neonazismus gibt es nicht die eine Maßnahme, die alles besser macht. Wichtig ist, dass unterschiedliche Bereiche ineinandergreifen: Es braucht kontinuierliche Demokratiebildungsarbeit ebenso wie das konsequente Ahnden rechter Straftaten. Es braucht zivilgesellschaftlichen Protest gegen Naziaufmärsche und staatliche Signale.


Was möchten Sie als Abgeordneter des Landtages für Ihren Wahlkreis tun?

Mir ist es wichtig nicht auf die Binnenlogik des parlamentarischen Alltags beschränkt zu bleiben und immer auch rückzukoppeln, was Menschen, die professionell z.B. in der Flüchtlings- und Integrationsarbeit tätig sind von politischen Vorstößen halten, welche Probleme sie sehen und vor allem welche Lösungsansätze sie vorschlagen. Ich möchte, dass mehr Menschen einen Sinn darin sehen, wählen zu gehen, und ihre Stimme einer demokratischen Partei zu geben. Das erfordert mehr Transparenz im politischen Betrieb. Es gilt politische Debatten nachvollziehbarer zu machen, und sie auch in den Ausschüssen öffentlich zu führen. Es heißt vor allem: Menschen ernst zu nehmen, und für sie erreichbar zu sein.


Welcher ist Ihr Lieblingsort in Sachsen-Anhalt?

Eindeutig Halle.