Interview Volker Lüderitz

Wie lange leben Sie schon in Sachsen-Anhalt? Ich lebe seit meiner Geburt im Jahr 1959 in Sachsen-Anhalt, seit 2001 in Colbitz. Auf welche Ausbildung und welche beruflichen Erfahrungen blicken Sie zurück? Ich bin Biologe, habe in Berlin studiert sowie promoviert und mich in Greifswald habilitiert. Seit 1993 bin ich Professor für Gewässer- und Renaturierungsökologie an der Hochschule Magdeburg-Stendal. Dort lehre ich in Bachelor- und Master-Studiengängen und leite verschiedene Forschungsprojekte im Bereich der Gewässerforschung. Darüber hinaus habe ich auch Gastdozenturen In Spanien inne. Wie sind Sie zur Politik gekommen? Von 1990 bis 1998 habe ich dem ersten und dem zweiten Landtag Sachsen-Anhalts angehört. Dann war ich 13 Jahre Vorsitzender des BUND in Sachsen-Anhalt. Seit 2014 bin ich Gemeinderat in Colbitz. Was treibt Sie an? Die Linke in Wolmirstedt hat mich als Kandidaten nominiert. Ich bin der Meinung, dass das Land einen Regierungs- und vor allem Politikwechsel dringend nötig hat. Von einer nachhaltigen Politik ist die derzeitige Regierungspolitik weit entfernt. Zu diesem Wechsel möchte ich einen kleinen, aber merklichen Beitrag leisten. Was haben Sie sich im Falle einer Wahl zum Mitglied des Landtages vorgenommen? Im Fall meiner Wahl werde ich unverzüglich folgende Gesetzgebungs- und Antragsinitiativen unternehmen: • Novelle des Kommunalabgabengesetzes, um verfassungswidrige Altanschlussbeiträge zu stoppen • Novelle des Wassergesetzes, um der übermäßigen Ausbringung von Gülle und Verschmutzung des Grundwassers einen Riegel vorzuschieben und die gesetzlichen Grundlagen für eine ökologische Verbesserung der Gewässer zu schaffen • Novelle des Hochschulgesetzes, um den Stillstand der Wissenschaftspolitik zu beenden und insbesondere dem wissenschaftlichen Nachwuchs eine Chance zu geben • Einsetzung einer Zukunftskommission, die in breitem gesellschaftlichen Diskurs brennende Fragen der Gegenwart und Zukunft erörtert und Lösungsvorschläge unterbreitet. Welche Rolle spielt Sachsen-Anhalt in Deutschland und in Europa und welche Perspektiven sehen Sie für das Land? Gegenwärtig ist es leider so, dass Sachsen-Anhalt aufgrund der Regierungspolitik als Bremser in der Wirtschafts-, Umwelt-, Gewässerschutz-, Landwirtschafts- und Wissenschaftspolitik angesehen werden muss. Die heutige Wirtschaftspolitik bedient vorrangig internationale Unternehmen, die nach Auslaufen der Fördermittel meist schnell wieder verschwinden, oder die Unternehmen verdienter Parteifreunde. Nötig ist aber eine nachhaltige Unterstützung kleiner und mittlerer Betriebe. In der Umweltpolitik kommen der Natur- und Gewässerschutz nicht voran. Es liegen aber Projekte auf dem Tisch, die von Hochschulen und Umweltverbänden erarbeitet wurden und für deren Umsetzung einfach nur der politische Wille da sein muss; an Geld mangelt es nicht. In den Schulen grassieren Lehrmangel und Unterrichtsausfall, in den Hochschulen Stellenstreichungen und Mittelkürzungen. Investitionen in Bildung und Wissenschaft sind aber die wichtigsten überhaupt! Wie wollen Sie die Zukunft Sachsen-Anhalts mitgestalten? Falls ich gewählt werde, sind in diesem Interview einige Dinge benannt, die ich kurz- und mittelfristig im Landtag in Angriff nehmen werde. Falls nicht, arbeite ich an denselben Dingen weiter als Wissenschaftler und im Rahmen meiner ehrenamtlichen Tätigkeiten. Wie denken Sie über die in Sachsen-Anhalt in den letzten Monaten aufgenommenen Flüchtlinge? Welche Chancen und Probleme sehen Sie und wie möchten Sie darauf reagieren? Die globalen Probleme klopfen in Gestalt einer nicht enden wollenden Flüchtlingswelle an unsere Türen und lassen sich nicht abweisen. Nur ein unmenschliches Grenzregime mit Stacheldraht und Waffengewalt könnte die Menschen, die sich in ihrer Not aufgemacht haben, aufhalten – und auch das nicht dauerhaft. Der mehr oder weniger große Wohlstand der meisten Deutschen beruht neben eigener Leistung auch darauf, dass anderswo Menschen zu unerträglichen Bedingungen arbeiten. In vielen Ländern heißen die einzigen Perspektiven vorrangig der jungen Menschen Armut oder Kriminalität und Tod. Und wer Waffen in alle Welt exportiert, muss mit dem Bumerang rechnen: Bürgerkriegsflüchtlingen. Die des Klimawandels werden wahrscheinlich folgen. In Nigeria will z. B. ein Drittel der Bevölkerung auswandern, das sind 70 Millionen Menschen! Wir haben drei Aufgaben: Erstens - den Menschen, die schon hier sind und denen, die noch kommen werden, eine Perspektive bieten, ihnen helfen und ihre Integration als Chance sehen. Hier leisten Hunderttausende Bürgerinnen und Bürger – Ärzte, Lehrer, Sozialarbeiter und einfach nur Helfer – bereits Großartiges. Zweitens – allen rassistischen und fremdenfeindlichen Bestrebungen und Aktionen entschlossen entgegentreten. Nicht die Flüchtlinge bedrohen die Demokratie, sondern der tiefsitzende Mangel an Menschlichkeit in Teilen der Gesellschaft. Drittens – die Ursachen der Flucht - Bedrohung, Armut, Perspektivlosigkeit – energisch bekämpfen. Dies wird nur langfristig möglich sein und ohne Teilen des Wohlstandes der ersten Welt nicht abgehen. Als ein in wasserwirtschaftliche und bildungspolitische Entwicklungsprojekte eingebundener Hochschullehrer weiß ich, dass man für deren Erfolg Geduld, Hartnäckigkeit und einen langen Atem benötigen. Und wir brauchen ganz andere Größenordnungen der Zusammenarbeit und damit der Unterstützung. Eine Idee ist, dass jedes hochentwickelte Land eine Art Patenschaft für ein Entwicklungsland übernimmt, dieses auf allen gesellschaftlichen Feldern unterstützt und daraus für die eigene Gesellschaft im Endeffekt ebenfalls einen Nutzen zieht. Was möchten Sie als Abgeordneter des Landtages für Ihren Wahlkreis tun? Im Landkreis Börde befasse ich mich fachlich vorrangig mit der Verbesserung der ökologischen Situation der Ohre und der Gewässer im Drömling. Deshalb kenne ich die Probleme, die aus der Intensivlandschaft erwachsen – Artenschwund, Bodenerosion, Überdüngung von Grund- und Oberflächenwasser. Meine Gesetzes- und Antragsinitiativen nehmen diese Probleme ins Visier. Allerdings: Langfristig werden wir das Problem der landwirtschaftlichen Umweltbelastung nur lösen können, wenn die Bewirtschaftung der Flächen und die Viehhaltung großflächig auf ökologische Methoden umgestellt werden. Hier ist noch sehr viel zu tun. Zusätzlich unterstütze ich im Bördekreis natürlich auch Bürgerinitiativen, die sich gegen die Geruchsbelästigung und die Wasserverschmutzung sowie gegen verfassungswidrige Wasser-Altanschlussbeiträge wehren, fachlich und politisch. Welcher ist Ihr Lieblingsort in Sachsen-Anhalt? Da gibt es nicht den „einen“. Ich mag den Colbitzer Lindenwald ebenso wie die Höhen des Harzes und die Gewässerlandschaft der Elbaue.